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Meng Meng Ga Ga – Szenen einer Stadt

Gerhard·Thamm

Jingdezhen war einst eine umtriebige Stadt im Südosten Chinas, der Stolz einer ganzen Nation, hatte man doch in der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur bereits im 6. Jahrhundert Porzellan, die neue lichtdurchlässige Keramik, das berühmte, sagenumwobene „weiße Gold“, hergestellt und in die ganz Welt verschickt. Jingdezhen und China – wie später auch chinesischer Tee – wurden weltweit Synonyme für das Reich der Mitte, die einen signifikanten Einfluss auf die Geschichte und Kultur Chinas hatten.

Nach der Kulturrevolution (1966 bis 1976) und dem Tode Mao Zedongs fand jedoch die lange Tradition und Erfolgsgeschichte ein jähes Ende als Deng Xiaoping Reformen zur Modernisierung Chinas einleitete, die eine wirtschaftliche Öffnung zur Folge hatten. Während andernorts in China Industrie und Wirtschaft rapide zu wachsen begannen, und die Menschen dort zu einem bescheidenen Wohlstand kamen, wurden in Jingdezhen Abertausende von Menschen mit Almosen abgespeist, vergessen und ohne Hoffnung zurück gelassen.

Wie in anderen ehemals florierenden Städten mussten auch hier traditionsreiche Manufakturen aufgegeben werden, da deren “Manager” nicht gelernt hatten, ihre “Unternehmen” erfolgreich in einem nunmehr globalen Wettbewerbsumfeld zu positionieren. Die Zurückgebliebenen sahen sich ihrer Geschichte und Tradition wie auch ihrer Zukunft beraubt, verlassen und verraten von einem vermeintlich sorgenden Parteiapparat.

Jäh aus ihrer vermeintlichen sozialen Sicherheit gerissen, machten sich Zukunftsängste, Resignation, Verzweiflung und Gleichgültigkeit breit. Den harten sozialen Realitäten folgten bald neue, zaghafte, vornehmlich privatwirtschaftliche Anstrengungen und infrastrukturelle Maßnahmen, die heute ein verwirrendes Bild des einstigen Kulturzentrums Jingdezhen zeichnen: soziale Konflikte, Verfall und Zerstörung zum einen, ein sich nur langsam vollziehender Umbruch, Aufbau und Neuanfang in ein neues, vermeintlich „modernes“, schnell wachsendes und sich stark wandelndes China zum anderen.

Jingdezhen galt über eintausend Jahre als Symbol für die Kultur und Tradition Chinas. Um so mehr irritieren und bewegen die durch die sozialen und wirtschaftlichen Transformationen verursachten Szenen und Bilder, die in dem Film des Malers Wang Ji Xin uns zutiefst berühren. In mehreren Szenen zeigt er die Zerrissenheit dieser einst so erfolgreichen und stolzen Stadt, die Menschen in ihrer Verzweiflung und Bangen aber auch ihre nie enden wollenden Bemühungen und leisen Hoffnungen, zu überleben und vielleicht eines Tages doch wieder an die Erfolge vergangener Tage anknüpfen zu können. Abseits der etablierten Touristenpfade führt er uns auf Mülldeponien, auf Baustellen, in zerfallene Fabrikgebäude, Spielhallen und Diskotheken, und – als wäre es Programm – entweder regnet es oder es ist dunkel. Auf eindringliche Weise mahnen uns die bewegenden Bilder, die betroffenen Menschen, aber auch die eigenen Wurzeln und Kultur nicht zu leugnen oder zu vergessen … eine Gefahr, die überall auf der Welt lauert.